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Schönheit

Michael H.

Aktualisiert: 2. Okt. 2024


Schönheit wird die Welt retten


Wenn von Schönheit die Rede ist, dann hört man sehr oft die Bemerkung: dass die Schönheit „im Auge des Betrachters„ läge. Wenn ich das höre, habe ich immer das Gefühl, dass die Leute gar nicht wissen, was sie da sagen. Sie wollen damit aber sagen, dass Schönheit nicht wirklich wichtig sei, weil sie nämlich völlig subjektiv und also eigentlich beliebig sei.


Schönheit habe nichts zu tun mit der Bewältigung der ernsten Anforderungen der alltäglichen Wirklichkeit – es sei denn als Kosmetik zur Steigerung der Attraktivität. Auf die Kosmetik kommen wir noch positiv zurück und das „Auge des Betrachters“ ist natürlich ein Ausgangspunkt der Motive dieser Zeichnung.


Eine ganz andere Sicht auf die Wirklichkeit öffnet sich in dem Wort Dostojewskys :

„Schönheit wird die Welt retten“.


Dostojewsky fuhr jedes Jahr nach Dresden um die Sixtinische Madonna von Raffael in der Gemäldegalerie zu betrachten. Er müsse wenigstens einmal im Jahr die Madonna von Raffael sehen, um mit dem Glanz ihrer Schönheit sein Leben bewältigen zu können. Das ist umso erstaunlicher, als uns seine Romane in die aller düstersten Bereiche der menschlichen Seele führen. Der Glanz der Schönheit berührt uns gerade da: in den tiefen Abgründen unserer Existenz. Auf dem Gemälde aus der Werkstatt des Raffael sind einfache und offene Menschengesichter zu sehen. Maria ist ein Bauernmädchen der ländlichen Toskana oder der römischen Campagna. Einfache Menschlichkeit, die in ihrer Verletzlichkeit einen überirdischen Glanz ausstrahlt.


Im Mittelalter waren die meisten Menschen von der Angst erfüllt, dass ihre Sinnlichkeit und ihr eigener Körper etwas Schlechtes seien. Erlösung von der Sünde alles Irdischen war erforderlich und konnte nur von den Priestern der klerikalen Staatsmacht bewirkt werden. Man musste die Wertschätzung der Natur und die eigene Natürlichkeit geheim halten. Rehabilitiert wurde „die Natur“ im Humanismus der Renaissance. Als der Orden der Franziskaner vom Papst anerkannt, regulär und sehr populär wurde, begünstigte er ein geistiges Klima der Wiedergeburt der alten Schönheitslehre. Wie sein mythischer Vorgänger Orpheus war Franz von Assisi erfüllt von der Schönheit der Natur. Die Bäume mit ihren Blüten, die Farben der Schmetterlinge im Licht der Sonne, die Felsen und das Wasser der Quellen und das Lächeln auf einem Kindergesicht: das Alles ist keine böse und verderbte Materie, sondern Ausstrahlung des ewigen Lebens, Heimat unserer Seele und Symbol der Einheit. Lebensfreude führt zum Mitfühlen mit allem Leid der Welt und steht am Anfang unseres Weges.

Der griechische Begriff „Kosmos“ bezeichnet eine verletzliche Einheit, die immer neu schöpferisch errungen werden muss - eine Ordnung aus Harmonie, welche die physische Welt erst hervorbringt und belebt, und diesen Glanz ausstrahlt, den wir Schönheit nennen.

Und jetzt? Eine kleine Anmerkung zur „Kosmetik“, denn „Kosmetik“ leitet sich von „Kosmos“ ab. Sinnlichkeit steht bei Platon am Anfang aller geistigen und schöpferischen Entwicklung. Denn nur die kleinen goldenen Pfeilchen des kleinen geflügelten Gottes Armor fordern unseren ganzen Mut erst heraus. Aber die Leidenschaft des sinnlichen Begehrens muss sich stufenweise verwandeln zur Leidenschaft der Erkenntnis und des schöpferischen Lebens.

Meine Schwestern und Brüder, der Weg des Eros ist viel besser als der wieder so populär gewordene Weg des Mars.


Aber wie kann Schönheit die Welt retten?


Sollte etwa die schöne Kunst die Welt retten können?


Ich hatte schon solche Gedanken als ich die große Fensterrose des Münsters zu Straßburg gesehen hatte, und die Farben strahlten im Licht des Westens.


Die Steinmetze, Maurer, Maler und Baumeister übten im Mittelalter die „artes minori“ aus, was nichts anderes bedeutet, als dass sie schlicht Handwerker waren. Als Künstler in unserem heutigen Sinne galten die Philosophen, die sich vor allem der Mathematik widmeten; aber auch die Musiker. Dass die Arithmetik, die Geometrie, die Astronomie und die Musik als „arte libri“, als die freien Künste verehrt wurden, verdanken sie der neuplatonischen Philosophie, die den pythagoräischen Grundsatz überlieferte: „Alles ist Zahl.“ Der Tempelbezirk der antiken Stadt Waset, die heutige ägyptische Stadt Luxor, gilt als älteste Universität der Welt. Der Neuplatoniker Proklos berichtet in seinem Kommentar zu Euklid`s „Elemente“: „Wir sollten der Tradition folgend feststellen, dass die Ägypter die ersten Erfinder der Geometrie waren und Thales, als erster Grieche in Ägypten, diese Theorie nach Griechenland brachte.“

Die Geometrie ist also die Sprache der Kunst und die Steinmetze, Maurer, Maler und Baumeister wussten das und hüteten dieses Wissen wie einen Schatz. Sie suchten die Nähe der Mathematiker und der Musiker und diese wiederum fanden im brüderlichen Arbeitsethos der Bauhütten Erfüllung Ihrer Theorie.


Der Humanist und Architekt Leon Battista Alberti fand in seiner Abhandlung über Architektur im Jahre1430 in Florenz folgende Definition der Schönheit: „Schönheit besteht in der planvollen Anordnung und Verschmelzung der Proportionen aller Teile eines Gebäudes derart, dass jeder Teil seine absolut feststehende Form und Größe hat und nichts hinzugefügt oder weggelassen werden kann, ohne die Harmonie des ganzen zu zerstören. Diese Übereinstimmung der Verhältnisse und Wechselbeziehung zwischen allen Teilen, diese organische Geometrie soll zwar in jedem Bau herrschen, aber ganz besonders in jedem Tempel.“ Und Alberti fährt fort und sagt, dass die von Menschen geschaffene Harmonie nur der Wiederschein einer himmlischen, ewig wahren und gültigen Harmonie sei. Diese Harmonie nannte der antik-römische Architekt Vitruv „Symmetrie“.


Proportion, Übereinstimmung der Maßverhältnisse und Harmonie der Wechselbeziehung zwischen alle Teilen – beim rechten Maß steht buchstäblich alles auf dem Spiel. Die pythagoräische Tetrade der ersten vier Zahlen, welche in ihrer Addition die Zahl zehn ergeben, enthält die mathematische Harmonie der musikalischen Skala : 1:2 die Oktave, 2:3 die reine Quinte und 3:4 die reine Quart. Diese klaren, einfachen Maßverhältnisse übernahmen die Baumeister in ihre Zeichnungen.


Von Lord Anthony Ashley Cooper, 3. Earl of Shaftesbury, Ein Philosoph der Schönheit, stammt der Satz: „Trachtet zuerst nach dem Schönen, und das Gute wird euch von selbst zufallen.“ Auf diese Schönheitsreligion beriefen sich die deutschen Neuhumanisten, vor allem Friedrich Schiller, der durch die „ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts“ und mit seiner Hymne „an die Freude“, Tochter der Schönheit, durch wahre Herzensbildung die Menschen befreien wollte.


Kann also das Kunstschöne die Welt retten? Platon kritisiert die bildenden Künste, weil sie mit ihrem schönen Schein Gefahr laufen, eher von der Wahrheit abzulenken, als zu ihr hinzuführen. In seinem Denken interessieren Bildwerke nur wenig, denn sie sind nur Abbilder von Abbildern, und real sind nur die geistigen Urbilder, die Ideen.  

Und in der Tat dienen die Werke der Kunst immer auch der standesgemäßen und herrschaftlichen Inszenierung.


Der ägyptische Architekt Numerobis konnte davon ein Lied singen. Als sich Kleopatra über die Arroganz Cäsars ärgerte, schloss sie mit ihm eine Wette ab: um Ägyptens nach wie vor vorhandene Größe zu demonstrieren, versprach sie dem Cäsar, ihm innerhalb von drei Monaten den herrlichsten Palast zu bauen, den die Welt je gesehen hat. Kleopatra beauftragte ihren Architekten Numerobis mit folgender vertraglicher Festlegung: wenn er es schafft, den Palast in drei Monaten fertigzustellen, wird er mit Gold überschüttet, wenn nicht, wird er den Krokodilen zum Frass vorgeworfen. Numerobis sagte: „Sehr wohl meine Königin, aber in drei Monaten…..!? Und es kam jene Verzweiflung über ihn, die wahrscheinlich nur seine Berufsgenossen nachempfinden können. „Wenn die Not am größten ist, dann wächst das Rettende auch“, sagt Hölderlin. Und in seiner Not hatte Numerobis eine Idee: er erinnerte sich an seine Freunde im weit entfernten Gallien und die Wunderkräfte des Druiden. Er nahm die beschwerliche Reise auf sich und bat die Freunde, ihm zu helfen. Und das Wunder geschah! Der Palast wurde rechtzeitig fertig. Kleopatra hielt Wort und ließ Numerobis, der sich vor ihrem Thron zu Boden geworfen hatte, mit Gold überschütten. In der Demutshaltung des Sich-zu-Boden-Werfens ragt aber derjenige Körperteil, den man in Ermangelung einer besseren Bezeichnung den Allerwertesten nennt exponiert in die Höhe, eine Höhe, welche der langsam anwachsende Kegelberg des Goldes der Überschüttung schwerlich erreichen konnte. Dies veranlasste Obelix zu der berühmten und absolut richtigen Bemerkung: „Da guckt aber noch ein Stück raus!“.


Was ist es nun, was unseren Künstler Numerobis und seine Welt rettet? Es ist die Freundschaft und es ist der geheimnisvolle Zaubertrank des Druiden.


Viel Wahres liegt in dieser Geschichte: der Zaubertrank als Symbol einer lebendigen Kraft und die Schönheit ist ein lebendiges Wesen. Sie ist freundlich, sie ist tröstend, sie hilft uns, in Ihrer Sanftmut voller Kraft. „Wenn die Gefahr am größten ist, dann wächst das Rettende auch“.  Der Glanz der Farben und der Wohlklang des Raumes, die wir Menschen wahrnehmen können, sind nur der äußerste Wiederschein des geistigen Lichts.


Die Schönheit ist eine der drei Säulen, die unsere Loge tragen. Sie ist das Maß, ohne das kein Tempelbau gelingen kann. Wenn wir unser Maß als Menschen finden, unsere Proportion als Teil des Ganzen, bedeutete das, dass wir uns selbst finden in Freiheit.


Der 24 – zöllige Maßstab lag in alter Zeit an der Stelle auf dem Altar, wo heute das Buch des Wissens liegt. Er war das Maß, der Inbegriff des Alles und des Einen.

Meine lieben Schwestern und Brüder!


Im Zentrum einer Rosenblüte befindet sich der Apex, und darum herum erheben sich die Rosenblätter in kreisförmiger Anordnung. Wenn wir diese näher untersuchen, entdecken wir eine sich fortsetzende Spirale, und wenn man die Winkel zwischen den Blütenblättern nachmisst, betragen diese ungefähr 137,5 Grad. Dieser Winkel wird goldener Winkel genannt. Man erhält ihn, wenn man die 360 Grad des Kreises mit der Zahl Phi multipliziert, die Verhältniszahl des goldenen Schnitts.


Wir beschenken uns heute mit der roten Rose, Symbol der Schönheit, Symbol der Freude, Symbol der Liebe und des Glücks, das Glück, das uns zusammengeführt hat.



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